{deutsch} und {dänisch} im Stereotyp: Stereotypenwelten und ihre sprachlich – kulturellen Konstituierungsformen


Bericht zur Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts zu nationalen Stereotypen und Marketingstrategien in interkultureller Kommunikation zwischen Deutschland und Dänemark, Odense, 25. bis 27. Februar 2015

 

Drei Jahre intensiver Forschungsarbeit des SMiK-Projekts zu nationalen Stereotypen und Marketingstrategien in der interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschland und Dänemark neigen sich ihrem Ende zu.

Um einen Einblick in die vielfältige Arbeit des Projektes zu geben und dessen Ergebnisse im Rahmen der aktuellen Forschung zu verankern, haben die Projektpartner Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Süddänische Universität in Odense zu einer dreitägigen interdisziplinären Abschlusskonferenz mit rund 40 Vorträgen von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an die Süddänische Universität in Odense eingeladen.

Die zahlreichen Gäste aus Wissenschaft, Bildungsbereich und Wirtschaft tauchten vom 25. bis 27. Februar in sprachlich-kulturelle Stereotypenwelten ein. Das prall gefüllte Programm enthielt Reflexionen und Berichte zu Erfahrungen, Möglichkeiten und Herausforderungen der Stereotypenforschung im Kontext von Mehrsprachigkeit, interkulturellem Verständnis, linguistischen Aspekten und IT-gestützter Sprach- und Kulturforschung.

Die Konferenz bildete einen Einordnungsrahmen für die Darstellung der Untersuchungen und Ergebnisse des SMiK-Projekts. Die ausführlichen Präsentationen des SMiK-Stereotypenuniversums mit schwarzen Löchern, Planeten und Galaxien zeigten ausgewählte Aspekte der Projektarbeit. Hierbei wurde auch ausführlich auf das Unterrichtsmaterial eingegangen, das einen wesentlichen Bestandteil der Projektarbeit darstellt, denn das SMiK-Projekt hat den ausgeprägten Anspruch, die Forschungsergebnisse nicht nur der Wissenschaft bereitzustellen, sondern ebenfalls Unterrichts- und Lehrmaterial auf Grundlage der Ergebnisse zu erstellen.

Willkommen im Stereotypenuniversum

Nach einem Willkommensgruß des Rektors der Süddänischen Universität, Henrik Dam, einem Grußwort der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland durch Marko Lins und anschließender Präsentation des Projektteams sowie einer Einführung in das komplexe und interdisziplinäre Thema der Stereotypenforschung durch Erla Hallsteinsdóttir und Jörg Kilian begann die dreitägige Reise durch das Stereotypenuniversum mit dem Direktor des Instituts für Deutsche Sprache, Ludwig M. Eichinger.

In seinem Vortrag „Sprachlich, staatlich, regional. Wenn man die Identitäten-Wahl hat“ ging Ludwig M. Eichinger auf einige Einsichten in den Zusammenhang zwischen sprachlicher Differenz als praktisch bedeutsames und staatsnational relevantes Merkmal auf der einen Seite und einer allgemeinen Tendenz, die aus dieser Musterung nationaler Differenzen einen generellen nationalen Charakter zu erkennen sucht, auf der anderen Seite ein. Muster, so Eichinger, brauche man, um sich in der Welt zurechtzufinden. Aus der Menge geteilter Muster ergäben sich Einstellungen, die das Selbstverständnis einer Gruppe prägten. Als stereotype Vorstellungen verfestigt prägten sie die Eigen- und die Fremdsicht.

Nach den Ausführungen zu Mustern und ihrer Bedeutung für die Bildung nationaler Identitäten ging Jörg Roche von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf die sozialsemiotischen Prozesse zur Kristallisierung von subjektiv konstruierter Bedeutung ein. Hierbei diskutierte er auch die durch diese Prozesse resultierenden Auswirkungen auf die Wahrnehmungsdynamik der eigenen sowie der jeweils anderen sozialen Gruppe. Mit Bezug auf die aktuelle Entwicklung in der Ukraine, der EU, dem Mittleren und dem Nahen Osten illustrierte Roche das didaktische Verfahren für einen interkulturell ausgerichteten Unterricht zur Förderung einer Dynamisierung der Wahrnehmung. Er plädierte für einen Perspektivenwechsel, den er mit der Erfahrung von Vielfalt sowie von Transdifferenz an dem Thema Gewalt und Widerstand illustrierte.

Weiter fortschreitend auf dem Pfad der Interkulturalität und Mehrsprachigkeit innerhalb des Stereotypenuniversums trafen die Teilnehmenden auf Anne Holmen von der Universität Kopenhagen, die zu einer Diskussion verschiedener Modelle zur Verknüpfung von Sprache und Studienfach in universitärer Ausbildung einlud. Hierbei wurden nicht nur der Bedarf an Fremdsprachenunterricht in zunehmend globalisiertem Arbeitsmarktkontext, sondern auch die Vorteile von Sprachkenntnissen für das Verstehen wissenschaftlicher Texte und anderer Wissensressourcen aufgezeigt. So ging Anne Holmen unter anderem auf die Bedeutung der deutschen Sprache in den Geisteswissenschaften und der englischen Sprache in naturwissenschaftlicher Ausbildung und Fachdiskurs ein. Es ist laut Anne Holmen nicht nur ein Sprach-, sondern auch ein Kulturverständnis erforderlich, wenn der gesamte Inhalt eines Textes erfasst werden soll.

Abgeschlossen wurde der erste Konferenztag mit drei Themenblöcken mit je drei Vorträgen. Im ersten Block wurde das Thema Marketing und Werbung mittels stereotyper Darstellungen behandelt. Der zweite Block fokussierte auf Stereotype in interkultureller Kommunikation und aus transnationaler Sicht. Der dritte Block beschäftigte sich mit dem Thema Mehrsprachigkeit und Stereotype an Universitäten und der Frage, ob diese Mehrsprachigkeit eher ein Defizit oder Potential darstelle.

Abgerundet wurde der Tag mit einem Empfang im Foyer der Universität, der zu vertiefenden Gesprächen und informeller Netzwerkpflege genutzt wurde.

Das vielfältige Stereotypenuniversum

Stereotype hinterlassen Spuren in der Sprache; Spuren, die mittels quantitativer Korpuslinguistik aufgedeckt und zur Auswertung und weiteren Analyse kartographiert werden können. Mit diesem Thema zog Noah Bubenhofer von der Technischen Universität Dresden am Morgen des zweiten Konferenztages die Aufmerksamkeit auf seine Ausführungen. So diskutierte er nicht nur verschiedene Aspekte der diskurs- und politolinguistischen Fragen der Korpuslinguistik, sondern ging auch auf die grundsätzlichen Chancen und Risiken der korpuslinguistischen Analyse für sozial- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen ein.

Wie lassen sich Stereotype in den großen Textmengen des digitalen Zeitalters nicht nur aufspüren, sondern auch für eine gründliche und effiziente Auswertung aufbereiten, sodass die Daten eine valide Grundlage für eine weitere Forschung darstellen können? Dieser Frage ging Uwe Quasthof von der Universität Leipzig am frühen Vormittag nach. Mit Beispielen für die korpuslinguistische Analyse deutsch-dänischer Stereotype erweiterte er die Einsichten in die vielfältigen Sphären des Stereotypenuniversums.

Weiter auf der Reise diskutierte Charlotte Wien von der Universität Zayed die zeitlich begrenzte Gültigkeit und kontextuell abhängige Wandlungsfähigkeit von Stereotypen. Sie zeigte anhand der Darstellung von älteren Mitbürgern in den Medien über die letzten 50 Jahre, dass die stereotypisierte Darstellung der Älteren in der dänischen Gesellschaft stark durch den politischen Diskurs beeinflusst wurde und wird. So hat diese Altersgruppe dank des demographischen Wandels zwar politisch an Macht gewonnen, wird aber doch innerhalb bestimmter Themenbereiche eher als hilfsbedürftig und tendenziell schwächlich dargestellt, wohingegen ihr vor Jahrzehnten noch ein starkes Rückgrat zugesprochen wurde.

Moritz Schramm von der Süddänischen Universität in Odense behandelte an diesem Mittag die deutsche Vergangenheitsbewältigung aus dänischer Sicht. Seiner These nach trage die deutsche Vergangenheitsbewältigung der eigenen Geschichte positiv zur dänischen Aufarbeitung der Vergangenheit bei und sei ein Vorbild. Demgegenüber stehen, so Moritz Schramm, diejenigen dänischen Stimmen, die die deutsche Herangehensweise als ein Projekt der intellektuellen und politischen Eliten des Landes sehen. Damit werde ein offener Umgang mit derzeitigen Herausforderungen wie der Einwanderungs- und Integrationspolitik unterdrückt. So stehe einer verantwortungsbewussten Auseinandersetzung mit der Geschichte eine unterdrückende „Schuldkultur“ gegenüber. In der gegenwärtigen Positionierung im politischen Diskurs innerhalb Dänemarks sieht er Verbindungen zu den dänischen Stereotypen über Deutschland.

Eine thematische Einteilung in parallele Vorträge erhielt dieser Tag durch drei Themenblöcke mit insgesamt elf Vorträgen und 13 Vortragenden aus ganz Europa. Darin wurden Themen wie Stereotype in Marktkommunikation, in Sprache und im Unterricht behandelt. Hierbei wurde ein Spektrum von kulinarischer Lexik über Fremdsprachendidaktik bis hin zu politischen Auseinandersetzungen und Konsequenzen des lettischen Sprachreferendums 2012 abgedeckt. Zu diesem Themenblock hatte sich eine dreiköpfige Delegation des Regionalen Bildungszentrums Wirtschaft der Landeshauptstadt Kiel eingefunden. Mit Hilfe zweier ausgewählter Studierender (Francees Ishaq und Yasemin Tekin) präsentierte und diskutierte Matthias Kraski praktische Erfahrungen mit und theoretische Überlegungen zu der Unterrichtsarbeit mit einigen Unterrichtsmaterialien des SMiK-Projekts.

Nach dieser Entdeckungsreise in gesonderte Bereiche des Stereotypenuniversums richtete Katja Gorbahn von der Universität Aarhus den Fokus auf das Thema Abgrenzung und Faszination bei deutschlandbezogenen Stereotypen in populärkulturellen dänischen Darstellungen des Zweiten Weltkrieges. Laut Gorbahn war für die Konstruktion einer dänischen Nationalidentität die Abgrenzung gegenüber Deutschland und den Deutschen von Anfang an entscheidend. So ging sie auf das Abgrenzungs- bzw. Faszinationspotential deutschlandbezogener Stereotype in dänischen Darstellungen des Zweiten Weltkrieges ein und diskutierte, welche identitätsrelevanten Funktionen sie in Bezug auf das Konzept der sozialen Identität erfüllen.

Den Abschlussvortrag des zweiten Konferenztages hielt Auður Hauksdóttir (Islands Universität). Sie führte die Entwicklung des Dänischen in der isländischen Kultur und Sprache aus, wobei sie einen historischen Abriss der stereotypen Wahrnehmung des Dänischen im Isländischen aufzeigte. Die dänische Sprache war während der Zugehörigkeit zu Dänemark ein selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft. Über die Generationen hinweg veränderte und verfestigte sich eine vom Dänischen weniger abhängige isländische Identität. Das Dänische wurde dabei in stereotyper Weise als Bedrohung für das Isländische wahrgenommen und instrumentalisiert, obwohl es weiterhin für bestimmte gesellschaftliche Schichten eine Rolle spielte. In Folge der Erstarkung des isländischen Bildungssystems und nationaler Unabhängigkeit, auch mittels der Etablierung einer eigenen Universität, hat sich in isländischer Kultur und Gesellschaft der heutigen Zeit eine positive Auffassung des Dänischen entwickelt, in der die dänische Sprache als ein Tor zu den nordischen Ländern angesehen wird.

Zum Ausklang des Konferenztages gab es zum Abend ein Konferenzdinner im Restaurant der Universität, das neben einem Buffet moderner dänischer Küche auch zum entspannten Gespräch unter Gästen und Vortragenden einlud.

Stereotypenwelten im SMiK-Projekt

Der abschließende Konferenztag stand unter dem Stern des SMiK-Projekts. Hier wurden die verschiedenen Aspekte der Intentionen, der Arbeit mit und an den erhobenen Daten sowie die Methodik und praktische Ausarbeitung und Erprobung einiger der Produkte und Resultate des Projektes präsentiert. In acht Vorträgen stellten die Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter der Süddänischen Universität in Odense und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ihre jeweiligen Arbeitsbereiche und deren Produkte vor. So ging Projektleiterin Erla Hallsteinsdóttir auf deutsche und dänische Stereotypenwelten im SMiK-Projekt ein.

Annika Hofmann hat die Stereotypenteilchen des {deutsch} und {dänisch} aus den Fragebogenuntersuchungen und Textanalysen des SMiK-Projekts näher beschrieben.

Katarina Le Müller ging anhand von Daten aus Interviews mit Firmen beiderseits der deutsch-dänischen Grenze auf die Rolle der Sprache im interkulturellen Kosmos der deutsch-dänischen Grenzregion ein.

Sonja Vandermeeren führte einen internationalen Vergleich der Kulturwelten Deutschlands und Dänemarks an.

Klaus Geyer diskutierte schwarze Löcher im Stereotypenuniversum, die er am Beispiel von hygge, happiness und Höflichkeit aufzeigte und vergleichend erläuterte.

Tobias Heinz brachte den Zuhörerinnen und Zuhörern verschiedene Aspekte der Stereotypengalaxien in Schulbuch und Unterricht nahe. Satelliten durften im aufgezeichneten Universum selbstverständlich nicht fehlen.

So beschäftigte sich Philipp Baunsgaard Koll mit den Satelliten in Form von Unterrichtsmaterialien, die als Botschafter entfernter Bereiche Wissen und Material überbringen und somit Klarheit und Verständnis schaffen und bewusstes Arbeiten mit Stereotypen ermöglichen.

Abschließend ging Jörg Kilian diskursiv auf die didaktische Sprachkritik nationaler Stereotype ein. Die Präsentationen wurden mit einer Diskussion der SMiK-Materialien und des Projekts beendet. In der Diskussion wurde u.a. die Frage gestellt, ob die deutschen und dänischen Lehrkräfte die Materialien für relevant erachten, und wie diese von den Lernenden angenommen werden. Philipp Baunsgaard Koll konnte dieses klar mit einem „ja“ beantworten, es bestehe großes Interesse am Thema. Die Lehrkräfte hätten sich den SMiK-Materialien gegenüber durchweg positiv ausgesprochen und auch die Lernenden beurteilten sowohl die Materialien als auch die Didaktik der Verläufe als ansprechend, interessant und relevant.

Im letzten Vortrag der dreitätigen Konferenz thematisierte Helga Andresen von der Universität Flensburg didaktische Zielsetzungen und Möglichkeiten des Sprachunterrichts mit Sprachspielen, die die Lernenden dazu anregen sollen, kritisch mit Sprache umzugehen und dabei Sprachbewusstsein und Sprachreflexion zu entwickeln und zu stärken. Hierbei werde, so Helga Andresen, das aufklärerische Potential von Stereotypen als Muster erkannt und kognitiv wahrgenommen. Dies möge als Chance zu veränderter Handlungspraxis erkannt werden und zu einer ‚Sprachkritik von unten‘ führen. Ihr Vortrag enthielt ein Plädoyer für die weitere Arbeit und Forschung an und mit nationalen Stereotypen in interkultureller Kommunikation.

 

Die Konferenz fand ihren Abschluss in einer regen Podiumsdiskussion mit dem Titel „Interkulturelles Verständnis und (Fremd-)Sprachen: deutsch-dänische Zukunftswege“, in der u.a. die Situation der deutschen und der dänischen Sprache als Fremdsprachen sowie die Wünsche der Wirtschaft bzgl. der SMiK-Materialien diskutiert wurden.

Benny Sørensen von der deutsch-dänischen Beraterfirma Sørensen – Connecting Markets meinte dazu, dass eine Art Checkliste durchaus ein mögliches Instrument wäre. Jörg Kilian argumentierte, dass er die Hauptaufgabe der Wissenschaft darin sehe, durch die wissenschaftliche Arbeit empirisch abgesicherte Ergebnisse zur Verfügung zu stellen, die das interkulturelle Verständnis der Gesellschaft und Wirtschaft fördern und die praktische Arbeit mit interkultureller Kommunikation erleichtern können. Es wird zu den Aufgaben der letzten Monate des SMiK-Projekts gehören, die Verbindung von Theorie und Praxis angemessen und für die Wirtschaft und die Ausbildungsinstitutionen in einer nutzbaren Form zu realisieren.


Text: Matthias Dreve

Fotos: Matthias Dreve und das SMiK-Team

Dr. phil. Erla Hallsteinsdóttir 

Aarhus Universitet

Institut for Kommunikation og Kultur

Jens Chr. Skous Vej 4

8000 Aarhus C

Danmark

 

Prof. Dr. Jörg Kilian

Christian-Albrechts-

Universität zu Kiel

Germanistisches Seminar

Olshausenstraße 40

24098 Kiel

Deutschland